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Category: News and Politics

9. November - am Rande der Eskalation

Für linke Demonstrierende gibt es in der Regel mindestens einen Tag im Jahr, der von vornherein für eine wichtige politische Veranstaltung reserviert ist. Was für einige der 8. März oder der 1. Mai ist, ist in meinem Fall der 9. November. Doch die Ereignisse der folgenden geschilderten Kundgebung waren für mich derart irritierend, dass ich mich mit der Veranstaltung nicht mehr identifizieren kann.

Die letzten Jahre habe ich, so auch dieses Mal, mein Gedenken bei der Kundgebung an der Levetzowstraße zum Ausdruck gebracht. Dort wurde in Berlin-Moabit während der Pogrome am 9. November 1938 die Synagoge beschädigt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Ort als Sammelstelle für die Deportationen von jüdischen Menschen missbraucht. Der Fokus bei der Veranstaltung lag in den vergangenen Jahren im historischen Bereich mit der einhergehenden aktuellen Verantwortung. Erwähnenswert ist, dass bei einer der letzten Veranstaltungen von dem Einbeziehen des Völkermords an den Hereo und Nama in das Erinnerungsbewusstsein seitens der Veranstaltenden die Rede war.

Maßgeblich prägend für die Kundgebung in diesem Jahr war der Terror-Angriff der Hamas am 7. Oktober. Für Menschen jüdischen Glaubens ist es schlichtweg nicht möglich, dieses Thema zu ignorieren, wie auch in den ersten Reden klar wurde. Es sind viel mehr Personen als üblich anwesend, auch dies wird von einer Rednerin betont. Auffällig sind die vielen Flaggen von Israel, die andere linke Flaggen, wie die der Antifa oder dem Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN) , zahlenmäßig überstimmen. Eine scheinbar linke Solidarität mit Palästina wird auf dem Podium kritisiert, genauso wie der Spruch "Free Palestine". Dieser würde bedeuten, dass der Staat Israel nicht existieren soll, von der gleichen Rednerin wird attestiert, Israel kämpfe gemäß der Genfer Konvention.

Diese beiden Thesen lösten bei einem großen Teil der Menschenmenge Unverständnis aus, sodass auffällig viele bereits vor dem Beginn der Demonstration nach Hause gingen. Während der Demonstrationszug loszog, ereignete sich eine wahrlich paradoxe Szene: "Nationalismus raus aus den Köpfen!" wurde skandiert, daneben werden die Israel Fahnen hochgehalten. Unter den Teilnehmenden waren immer wieder Gespräche zu vernehmen, die bei dieser absurden Situation den Durchblick verloren haben.

In der Gesamtsituation steckt grundsätzlich viel Konfliktpotential, da die Demonstration durch die Turmstraße fährt, hier ist der Anteil der muslimisch geprägten Bevölkerung besonders hoch. Ein offenbar angetrunkener Teilnehmer der Demonstrationen schrie auch andauernd unterschiedlichste Dönerbesitzer an, die sich den Demonstrationszug anschauten. Eine Eskalation blieb jedoch aus, einzige Zwischenfälle waren "Free Palestine" Rufe von Passantinnen, die mit "...from Hamas!" von der Demo gekontert wurden.

Für mich wirkte die Demo teilweise etwas provokant, gleichzeitig rückte der ursprüngliche Anlass aus dem Fokus. War ich anfangs noch da, um Blumen niederzulegen und den Redebeiträgen zu lauschen, hielt mich am Ende nur noch meine investigative Tätigkeit an dieser Kundgebung, mit der ich mich langsam, aber sicher, nicht mehr identifizieren konnte.


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